Immer wieder beobachte ich bei meinen Klientinnen und Klienten, aber auch bei mir selbst, dass gerade in herausfordernden oder stressenden Situationen der sogenannte „innere Kritiker“ besonders stark herauskommt. Beim Bewerbungsgespräch konnte man sich nicht gut genug präsentieren, ein Arbeitsproblem wurde von einem Kollegen anstatt von sich selbst gelöst, der Geburtstagskuchen, der schon längst fertig sein sollte, ist sitzen geblieben.
Die Gefühle wie Wut, Ärger, Traurigkeit oder Verzweiflung entladen sich dann leider häufig durch unseren inneren Kritiker. Wer kennt sie nicht, die schnell mal gedachten Sätze wie „du bist unfähig“, „wie kann man nur so dumm sein“ etc. Diese Botschaften sind Gift für unsere Psyche und unseren Selbstwert, denn es entsteht ein Teufelskreis, indem die Gefühle wieder verstärkt und damit der innere Druck erneut vergrößert wird.
Um aus diesem Kreislauf auszusteigen, beschäftige ich mich seit einiger Zeit mit dem Ansatz des „Selbstmitgefühls“ (self compassion) von Dr. Kristin Neff.
Auf welche Art und Weise sorgen wir für uns, wie gehen wir mit uns um?
Selbstmitgefühl zu haben ist dabei im Wesentlichen das Gleiche, wie Mitgefühl für andere. Geht es einer uns nahestehenden Person schlecht oder kommt sie mit einem Problem zu uns, nehmen wir uns Zeit. Wir hören zu, sind aufmerksam, verständnisvoll und wertschätzend. Selbstmitgefühl heißt, auf die gleiche Weise uns gegenüber zu reagieren, wenn wir einen Fehler machen, eine schwierige Zeit haben oder etwas an uns entdecken, das wir nicht leiden können.
Passend dazu habe ich vor einigen Tagen in einer Kolumne eine schöne Aussage gelesen, die ich hier teilen möchte:
„Ich habe akzeptiert, dass ich wie alle anderen Menschen nicht perfekt bin, aber dass ich deswegen meinen Charakter nicht abschleifen muss, bis ich mich wie ein Knigge-Buch auf zwei Beinen verhalte. Ich darf scheitern. Ich darf Fehler machen. Ich darf mich trotzdem mögen. Und ich will und werde mir die Fehler verzeihen.“
(Quelle: Die Oma Kolumne, sz-magazin.de/lektionen, 31.5.2020).
Abschließend möchte ich noch eine kleine Übung vorschlagen: Das nächste Mal, wenn du deinen inneren Kritiker hörst und dabei bist, dich scharf zu bewerten, sage dir innerlich „STOP“. Überlege, wie du in dieser Situation mit einem engen Freund oder einer engen Freundin sprechen würdest! Was würdest du sagen oder raten? Auf welche Weise würdest du der Freundin/dem Freund begegnen? Lass diese Worte innerlich wirken und achte darauf, welche Gefühle in dir dadurch entstehen.
Ich wünsche euch eine achtsame und liebevolle Zeit!
Mag. Martina Schneider